THEO JÖRGENSMANN QUARTET
Theo Jörgensmann - Klarinette
Christopher Dell - Vibraphon
Christian Ramond - Kontrabass
Klaus Kugel - Schlagzeug
Theo Jörgensmann - Klarinette
Christopher Dell - Vibraphon
Christian Ramond - Kontrabass
Klaus Kugel - Schlagzeug
ausgewählte CD Kritiken
"At The Fields Edge" (NotTwo Records), 2021

STEREO MAGAZIN 2021
Ein neuer Meilenstein deutscher Improvisationsartistik
von Sven Thielmann
Bereits nach den ersten Tönen ist klar: Das auf Tonträgern seit bald 15 Jahren vermisste Theo Jörgensmann Quartet ist mit dem bereits 2017 eingespielten, aber erst jetzt auf einem polnischen Label erschienenen Album "At The Fields Edge" endlich wieder für den Heimgebrauch zu haben. Mit einer unverwechselbar heiter-poetisch kraftstrotzenden Klangsprache, über die nicht nur diese Zeitschrift einst befand, sie sei einfach großartig.
Das nun fällige "Warum?" ist leicht zu beantworten. Vereinen sich hier doch vier sofort identifizierbare Personalstile zu einem quirligen Amalgam, in das sich alle ungebremst und doch mit gegenseitigem Respekt rasant einbringen: die Melodiker Theo Jörgensmann an grandios jubilierender Klarinette und der virtuos wirbelnde Vibrafonist Christopher Dell ebenso wie die Rhythmiker Christian Ramond am erregend flinken Bass und der frisch, frech und frei trommelnde Klaus Kugel.
Ihre Improvisationsabenteuer firmieren zunächst unter dem sprechenden Titel "Chances Need To Be Taken, Part 1-3" – und genau dies tun die vier mit unglaublicher Verve. Da entspinnen sich hypernervöse, rhythmisch gewitzt inszenierte Klangräume, durch die kostbare Spitzenklöppeleien und duftige Klarinettenmelodien förmlich fliegen. Was von einer mitreißenden Dynamik ist, die fabelhaft bunt schillert und immer wieder delikate Solo- und Duo-Momente aufblitzen lässt. Das alles ist verdammt "Blue Hot" (eine weitere Suite) und höchst imposant als aberwitziger Austausch ständig neu generierter Ideen, die sich zu überwältigenden Soundscapes von bestechender Intensität fügen. Eine reife Meisterleistung des Theo Jörgensmann Quartet und ein neuer Meilenstein deutscher Improvisationsartistik.
Musik: 4,5 Sterne
Ein neuer Meilenstein deutscher Improvisationsartistik
von Sven Thielmann
Bereits nach den ersten Tönen ist klar: Das auf Tonträgern seit bald 15 Jahren vermisste Theo Jörgensmann Quartet ist mit dem bereits 2017 eingespielten, aber erst jetzt auf einem polnischen Label erschienenen Album "At The Fields Edge" endlich wieder für den Heimgebrauch zu haben. Mit einer unverwechselbar heiter-poetisch kraftstrotzenden Klangsprache, über die nicht nur diese Zeitschrift einst befand, sie sei einfach großartig.
Das nun fällige "Warum?" ist leicht zu beantworten. Vereinen sich hier doch vier sofort identifizierbare Personalstile zu einem quirligen Amalgam, in das sich alle ungebremst und doch mit gegenseitigem Respekt rasant einbringen: die Melodiker Theo Jörgensmann an grandios jubilierender Klarinette und der virtuos wirbelnde Vibrafonist Christopher Dell ebenso wie die Rhythmiker Christian Ramond am erregend flinken Bass und der frisch, frech und frei trommelnde Klaus Kugel.
Ihre Improvisationsabenteuer firmieren zunächst unter dem sprechenden Titel "Chances Need To Be Taken, Part 1-3" – und genau dies tun die vier mit unglaublicher Verve. Da entspinnen sich hypernervöse, rhythmisch gewitzt inszenierte Klangräume, durch die kostbare Spitzenklöppeleien und duftige Klarinettenmelodien förmlich fliegen. Was von einer mitreißenden Dynamik ist, die fabelhaft bunt schillert und immer wieder delikate Solo- und Duo-Momente aufblitzen lässt. Das alles ist verdammt "Blue Hot" (eine weitere Suite) und höchst imposant als aberwitziger Austausch ständig neu generierter Ideen, die sich zu überwältigenden Soundscapes von bestechender Intensität fügen. Eine reife Meisterleistung des Theo Jörgensmann Quartet und ein neuer Meilenstein deutscher Improvisationsartistik.
Musik: 4,5 Sterne
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"To Ornette - Hybrid Identity" (hatOLOGY 576), 2002

FONO FORUM, 2002
Reife Leistung
von Tilmann Urbach, 2002
Es gibt kaum eine lebende Kultfigur im Jazz, die wie Ornette Coleman Schule gemacht hat und macht: Er ist und bleibt eine der wichtigsten Bezugspunkte für denkende Musiker jeglicher Couleur. Ein Garant für Autonomie, vom Markt unkorrumpierbar, selbstbezüglich bis zur Sturheit. Ein Mann mit eigenem Kosmos, den zu betreten nur wenige das Recht haben. Pat Metheny ruhte seinerzeit nicht eher, bis er mit dem schwarzen Player musiziert hatte; John Zorn beruft sich auf ihn – um nur zwei völlig unterschiedliche Positionen des Colemen-Pools zu nennen. Aber solche Adaptionen waren immer nur dann ernst zu nehmen, wenn sie von einer festen eigenen Persönlichkeitsstruktur geleitet wurden – das ist auch hier der Fall und macht diese Aufnahme des Jörgensmannn-Quartetts so wertvoll. Da hören wir eine Musik ,die sich einerseits ganz deutlich – vor allem in den nervösen Kürzeln, blitzschnellen Wendungen, sprunghaft weiten Intervallen – an Ornettes Personalstil anlehnt. Andererseits adaptiert Jörgensmann diese Eigenheiten mit dem Selbstbewusstsein und der Virtuosität eines Meisters. Ein Déjà-vu? Vielleicht! Aber schon im Sound der Klarinette liegt ein (wenn auch kleiner) Verfemdungseffekt. Und bei Jörgensmann erscheint die Coleman-Stilistik gereinigter, leichter – man möchte fast sagen – europäischer. Wieder einmal erweist sich das Theo Jörgensmann Quartett als hochgradig interaktiv. Christopher Dell ist der ideale Harmoniker, der den Klarinettisten erdet, darüber hinaus wirbelnd eigene Wege geht. Und die Rhythm-Section ist ein Musterbeispiel an freier und doch feinsinniger Gestaltung. Das ist einfach grandiose Musik.
Interpretation: * * * * *
Sound: * * * * * (Höchstwertung)
JAZZTHING, 2002
focus: Theo Jörgensmann
von Wolf Kampmann
Spielerische Freiheit geht nicht immer einher mit der Befreiung des Hörers. Im Gegenteil: Ist die Freiheit des Musikers erst mal zum Ritual erstarrt, ruft sie oft Beklemmungen und klaustrophobische Zustände bei ihren Adressaten hervor. Ein Musiker, der seit den 60ern Freiheit immer wieder neu definierte, von innen wie außen gesetzte Grenzen beharrlich überwand, sich an den Rand der deutschen Free-Gemeinde bugsierte und doch gerade im Ausland weit mehr Anerkennung erspielt hat als das Peloton der deutschen Improvisatoren, ist Theo Jörgensmann. In unzähligen Kontexten hat er unentwegt sein Repertoire erweitert und somit über Jahrzehnte ein Vokabular entwickelt, das ihm die spontane Bewegung in jede denkbare Richtung erlaubt. Mit seinem Quartett, dem Christopher Dell (vibes), Christian Ramond (bass) und Klaus Kugel (drums) angehören, generiert er Zusammenhänge, die so komplex und zugleich offen sind, dass man sich nur wundern kann. Hier ist Kommunikation höchstes Ziel. Und Kommunikation funktioniert eben nur mit dem Hörer. Jörgensmanns Musik ist weich, ornamental, geschmeidig, streckenweise fast schmeichelnd und doch stets herausfordernd, manchmal streng und voller überraschender Wendungen und Systemverschiebungen. Das neue Album des Quartetts trägt den Titel "To Ornette – Hybrid Identity" (Hatology / Harmonia Mundi), doch das Gespielte erinnert nur selten an Ornette. Es ist eher die Sicherheit, mit der hier verschiedene Idiome zu eine Meta- Sprache verflochten werden, was in starkem Maße an Colemans harmolodisches System denken lässt. Jörgensmann setzt sich gezielt zwischen alle Stühle, hält sich aus allen Grabenkämpfen heraus und lässt auf der von seinen Mitspielern gelegten Blumenwiese die Klarinette tanzen. Wenn anspruchsvolle Hör-Musik doch nur öfter so unterhaltsam wäre!
DIE WELTWOCHE, Schweiz, 2002
Der Geheimplan des Meisters
von Peter Rüedi
Keine grosse Schöpfung ohne grosses Chaos. Die neue CD des deutschen Klarinettisten Theo Jörgensmann ist eine Hommage an Kultsaxofonist Ornette.
Tänzerische Eleganz: Theo Jörgensmann.
Fremdwörter sind Glückssache, auf der Stilhöhe Bernhard- Theater hat deren Verwechslung schon manche Schwank- Pointe gezündet – die aufgeblasene Neureiche, die Katheder und Katheter verwechselt oder Hymne mit Hymen. Allerdings können, weil sich die Sprache, schon gar die Umgangssprache einen Deut um etymologische Correctness schert, sich auch Fremdwörter wandeln oder als Neologismen neu einnisten. Thomas Bodmer hat natürlich Recht, wenn er vor Zeiten diesem Kolumnisten den Gebrauch des Worts «ultimativ» als Schlamperei vorrechnete: Es meint «ein Ultimatum stellend» und nicht, analog zum angelsächsischen Superlativ «ultimate», «endgültig». (Seit da versuche ich vergeblich, den Korrektoren die Wendung «ultimat» abzuringen). Nur wird es, schön oder nicht, zunehmend so gebraucht. «Frugal» meinte ursprünglich einfach, mässig, kärglich, heute aber auch das genaue Gegenteil: üppig. Und dann gibt es Fremdwörter, die genuin eine mehrfache Bedeutung haben. «Hybrid» heisst frevelhaft, anmassend im Sinn einer Selbstüberhebung des Menschen gegenüber den Göttern; oder es meint zwitterhaft, gemischt, gekreuzt.
Wenn Theo Jörgensmann seine neue CD «To Ornette – Hybrid Identity» nennt, meint er Letzteres: «gekreuzte Identität», eine Musik gegen das Reinheitsgebot. Eine Hommage an den legendären Kultsaxofonis-ten aus den Anfängen des Free Jazz, unter Einbringung der europäischen «Roots». Für Ornette, bei dessen Aufnahmen aus den Sechzigern heute keiner mehr versteht, wie seinerzeit fast niemand die Verwurzelung im texanischen Blues und im Bebop überhören konnte, ist der Begriff näher liegend als bei einem, der mit klassischer europäischer Musik aufgewachsen ist. «Schönberg and Webern are my roots»: geht irgendwie nicht.
Wie auch immer: «Hybrid Identity» meint eine gespannte Identität und, hören wir die acht Piecen dieses seit Jahren wunderbar integrierten Quartetts, auch eine überaus spannende.Theo Jörgensmann ist einer der grossen Klarinettisten zurzeit, weltweit unter Wert wahrgenommen nicht zuletzt deshalb, weil niemand einem Deutschen, einer deutschen Gruppe so viel tänzerische Eleganz, humoristische Intelligenz, sensible Poesie und (fraktionierten) Drive zutrauen mag; deutsche Poesie ist tiefsinnig, deutscher Humor dumpf, und bei deutschem Tanz denkt jeder an schenkelklopfende Folkloregruppen. Das Gegenteil von alldem ist das Quartett Jörgensmann: Christoph Dell am Vibrafon, Christian Ramond am Bass und Klaus Kugel am Schlagzeug. Es praktiziert so etwas wie eine improvisatorisch-organisch wuchernde allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Spielen und entwickelt doch eine kristalline Logik: Musik im Entstehen, die sich am Ende (also beim wiederholten Hören) wie die Offenbarung eines geheimen Plans ausnimmt. Gewisse Bilder von Klee vermitteln so eine Erfahrung.
Deine Kleider gehen mit
Es wäre ein grösserer Aufsatz darüber zu verfassen, wie sich Jörgensmann und Co. Ornette Colemans «harmolodisches» Konzept aneignen – Peter Niklas Wilson erstellt in seinen liner notes eine erste Auslegeordnung. Um diese Aneignung geht es bei dieser CD, nicht um eine restaurative Beschwörung von Ornette. Wie sich hier der musikalische Bewusstseinsstrom ungezwungen und doch der Schwerkraft folgend seinen Weg sucht wie ein nicht meliorierter Fluss in flachem Gelände, das erinnert an Coleman, an dessen plötzliche Wendungen und sprunghafte Kürzel. In Ornettes schräger Metaphorik gesagt: «Wenn du morgens aufstehst, musst du dir ein paar Kleider anziehen, bevor du aufbrichst in deinen Tag. Aber deine Kleider sagen dir nicht, wohin du zu gehen hast – sie gehen mit, wo du hinwillst. Eine Melodie ist wie deine Kleider.»
Und in noch einem Punkt hat Wilson Recht, im Hinblick auf Ornette wie auf Jörgensmann: «Swing und Groove sind weder vorgeschrieben noch verboten, sondern Optionen unter vielen.» In meinen Kategorien: die ultimate improvisierte Kammermusik.
Reife Leistung
von Tilmann Urbach, 2002
Es gibt kaum eine lebende Kultfigur im Jazz, die wie Ornette Coleman Schule gemacht hat und macht: Er ist und bleibt eine der wichtigsten Bezugspunkte für denkende Musiker jeglicher Couleur. Ein Garant für Autonomie, vom Markt unkorrumpierbar, selbstbezüglich bis zur Sturheit. Ein Mann mit eigenem Kosmos, den zu betreten nur wenige das Recht haben. Pat Metheny ruhte seinerzeit nicht eher, bis er mit dem schwarzen Player musiziert hatte; John Zorn beruft sich auf ihn – um nur zwei völlig unterschiedliche Positionen des Colemen-Pools zu nennen. Aber solche Adaptionen waren immer nur dann ernst zu nehmen, wenn sie von einer festen eigenen Persönlichkeitsstruktur geleitet wurden – das ist auch hier der Fall und macht diese Aufnahme des Jörgensmannn-Quartetts so wertvoll. Da hören wir eine Musik ,die sich einerseits ganz deutlich – vor allem in den nervösen Kürzeln, blitzschnellen Wendungen, sprunghaft weiten Intervallen – an Ornettes Personalstil anlehnt. Andererseits adaptiert Jörgensmann diese Eigenheiten mit dem Selbstbewusstsein und der Virtuosität eines Meisters. Ein Déjà-vu? Vielleicht! Aber schon im Sound der Klarinette liegt ein (wenn auch kleiner) Verfemdungseffekt. Und bei Jörgensmann erscheint die Coleman-Stilistik gereinigter, leichter – man möchte fast sagen – europäischer. Wieder einmal erweist sich das Theo Jörgensmann Quartett als hochgradig interaktiv. Christopher Dell ist der ideale Harmoniker, der den Klarinettisten erdet, darüber hinaus wirbelnd eigene Wege geht. Und die Rhythm-Section ist ein Musterbeispiel an freier und doch feinsinniger Gestaltung. Das ist einfach grandiose Musik.
Interpretation: * * * * *
Sound: * * * * * (Höchstwertung)
JAZZTHING, 2002
focus: Theo Jörgensmann
von Wolf Kampmann
Spielerische Freiheit geht nicht immer einher mit der Befreiung des Hörers. Im Gegenteil: Ist die Freiheit des Musikers erst mal zum Ritual erstarrt, ruft sie oft Beklemmungen und klaustrophobische Zustände bei ihren Adressaten hervor. Ein Musiker, der seit den 60ern Freiheit immer wieder neu definierte, von innen wie außen gesetzte Grenzen beharrlich überwand, sich an den Rand der deutschen Free-Gemeinde bugsierte und doch gerade im Ausland weit mehr Anerkennung erspielt hat als das Peloton der deutschen Improvisatoren, ist Theo Jörgensmann. In unzähligen Kontexten hat er unentwegt sein Repertoire erweitert und somit über Jahrzehnte ein Vokabular entwickelt, das ihm die spontane Bewegung in jede denkbare Richtung erlaubt. Mit seinem Quartett, dem Christopher Dell (vibes), Christian Ramond (bass) und Klaus Kugel (drums) angehören, generiert er Zusammenhänge, die so komplex und zugleich offen sind, dass man sich nur wundern kann. Hier ist Kommunikation höchstes Ziel. Und Kommunikation funktioniert eben nur mit dem Hörer. Jörgensmanns Musik ist weich, ornamental, geschmeidig, streckenweise fast schmeichelnd und doch stets herausfordernd, manchmal streng und voller überraschender Wendungen und Systemverschiebungen. Das neue Album des Quartetts trägt den Titel "To Ornette – Hybrid Identity" (Hatology / Harmonia Mundi), doch das Gespielte erinnert nur selten an Ornette. Es ist eher die Sicherheit, mit der hier verschiedene Idiome zu eine Meta- Sprache verflochten werden, was in starkem Maße an Colemans harmolodisches System denken lässt. Jörgensmann setzt sich gezielt zwischen alle Stühle, hält sich aus allen Grabenkämpfen heraus und lässt auf der von seinen Mitspielern gelegten Blumenwiese die Klarinette tanzen. Wenn anspruchsvolle Hör-Musik doch nur öfter so unterhaltsam wäre!
DIE WELTWOCHE, Schweiz, 2002
Der Geheimplan des Meisters
von Peter Rüedi
Keine grosse Schöpfung ohne grosses Chaos. Die neue CD des deutschen Klarinettisten Theo Jörgensmann ist eine Hommage an Kultsaxofonist Ornette.
Tänzerische Eleganz: Theo Jörgensmann.
Fremdwörter sind Glückssache, auf der Stilhöhe Bernhard- Theater hat deren Verwechslung schon manche Schwank- Pointe gezündet – die aufgeblasene Neureiche, die Katheder und Katheter verwechselt oder Hymne mit Hymen. Allerdings können, weil sich die Sprache, schon gar die Umgangssprache einen Deut um etymologische Correctness schert, sich auch Fremdwörter wandeln oder als Neologismen neu einnisten. Thomas Bodmer hat natürlich Recht, wenn er vor Zeiten diesem Kolumnisten den Gebrauch des Worts «ultimativ» als Schlamperei vorrechnete: Es meint «ein Ultimatum stellend» und nicht, analog zum angelsächsischen Superlativ «ultimate», «endgültig». (Seit da versuche ich vergeblich, den Korrektoren die Wendung «ultimat» abzuringen). Nur wird es, schön oder nicht, zunehmend so gebraucht. «Frugal» meinte ursprünglich einfach, mässig, kärglich, heute aber auch das genaue Gegenteil: üppig. Und dann gibt es Fremdwörter, die genuin eine mehrfache Bedeutung haben. «Hybrid» heisst frevelhaft, anmassend im Sinn einer Selbstüberhebung des Menschen gegenüber den Göttern; oder es meint zwitterhaft, gemischt, gekreuzt.
Wenn Theo Jörgensmann seine neue CD «To Ornette – Hybrid Identity» nennt, meint er Letzteres: «gekreuzte Identität», eine Musik gegen das Reinheitsgebot. Eine Hommage an den legendären Kultsaxofonis-ten aus den Anfängen des Free Jazz, unter Einbringung der europäischen «Roots». Für Ornette, bei dessen Aufnahmen aus den Sechzigern heute keiner mehr versteht, wie seinerzeit fast niemand die Verwurzelung im texanischen Blues und im Bebop überhören konnte, ist der Begriff näher liegend als bei einem, der mit klassischer europäischer Musik aufgewachsen ist. «Schönberg and Webern are my roots»: geht irgendwie nicht.
Wie auch immer: «Hybrid Identity» meint eine gespannte Identität und, hören wir die acht Piecen dieses seit Jahren wunderbar integrierten Quartetts, auch eine überaus spannende.Theo Jörgensmann ist einer der grossen Klarinettisten zurzeit, weltweit unter Wert wahrgenommen nicht zuletzt deshalb, weil niemand einem Deutschen, einer deutschen Gruppe so viel tänzerische Eleganz, humoristische Intelligenz, sensible Poesie und (fraktionierten) Drive zutrauen mag; deutsche Poesie ist tiefsinnig, deutscher Humor dumpf, und bei deutschem Tanz denkt jeder an schenkelklopfende Folkloregruppen. Das Gegenteil von alldem ist das Quartett Jörgensmann: Christoph Dell am Vibrafon, Christian Ramond am Bass und Klaus Kugel am Schlagzeug. Es praktiziert so etwas wie eine improvisatorisch-organisch wuchernde allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Spielen und entwickelt doch eine kristalline Logik: Musik im Entstehen, die sich am Ende (also beim wiederholten Hören) wie die Offenbarung eines geheimen Plans ausnimmt. Gewisse Bilder von Klee vermitteln so eine Erfahrung.
Deine Kleider gehen mit
Es wäre ein grösserer Aufsatz darüber zu verfassen, wie sich Jörgensmann und Co. Ornette Colemans «harmolodisches» Konzept aneignen – Peter Niklas Wilson erstellt in seinen liner notes eine erste Auslegeordnung. Um diese Aneignung geht es bei dieser CD, nicht um eine restaurative Beschwörung von Ornette. Wie sich hier der musikalische Bewusstseinsstrom ungezwungen und doch der Schwerkraft folgend seinen Weg sucht wie ein nicht meliorierter Fluss in flachem Gelände, das erinnert an Coleman, an dessen plötzliche Wendungen und sprunghafte Kürzel. In Ornettes schräger Metaphorik gesagt: «Wenn du morgens aufstehst, musst du dir ein paar Kleider anziehen, bevor du aufbrichst in deinen Tag. Aber deine Kleider sagen dir nicht, wohin du zu gehen hast – sie gehen mit, wo du hinwillst. Eine Melodie ist wie deine Kleider.»
Und in noch einem Punkt hat Wilson Recht, im Hinblick auf Ornette wie auf Jörgensmann: «Swing und Groove sind weder vorgeschrieben noch verboten, sondern Optionen unter vielen.» In meinen Kategorien: die ultimate improvisierte Kammermusik.